Achtsamkeit

Auch bekannt als: Mindfulness, bewusstes Wahrnehmen, Präsenz, Im-Moment-Sein, achtsame Wahrnehmung, Gewahrsein

Kurz erklärt: Achtsamkeit bedeutet: Mit voller Aufmerksamkeit im gegenwärtigen Moment sein – bewusst wahrnehmen, was ist, ohne zu bewerten. Beim Laufen heißt das: Du nimmst wahr, wie sich dein Körper anfühlt, wie dein Atem fließt, was deine Sinne erleben – ohne ständig in Gedanken über Tempo, Zeit oder Sorgen zu sein. Achtsamkeit ist das Gegenteil von "auf Autopilot laufen". Es ist präsentes Erleben statt abwesendem Funktionieren. Achtsam zu laufen transformiert dein Training: Du spürst früher, wenn etwas nicht stimmt (Verletzungsprävention), du genießt jeden Schritt mehr, du bist weniger gestresst und mehr im Flow. Achtsamkeit ist keine Technik, die du "machst" – sondern eine Haltung, die du kultivierst. Jeden Tag ein bisschen mehr. Achtsamkeit macht dich zu einem besseren Läufer – und zu einem glücklicheren Menschen.

Was ist Achtsamkeit genau?

Achtsamkeit ist ein Begriff, der oft verwendet wird – aber was bedeutet er wirklich? Und warum ist er gerade für Läufer so wertvoll?

Die klassische Definition (nach Jon Kabat-Zinn):
"Achtsamkeit bedeutet, auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein: bewusst, im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu urteilen."

Klingt einfach – ist aber revolutionär! Denn die meiste Zeit sind wir NICHT achtsam:

  • Wir laufen – aber denken an die To-Do-Liste
  • Wir essen – aber schauen dabei aufs Handy
  • Wir duschen – aber planen schon den Tag
  • Wir sind körperlich hier – aber mental woanders

Das ist der "Autopilot-Modus" – wir funktionieren, aber wir LEBEN nicht wirklich. Wir verpassen den Moment, weil wir in Gedanken über Vergangenheit (Grübeln) oder Zukunft (Sorgen) sind.

Achtsamkeit ist das Gegenteil:

  • Bewusst: Du nimmst wahr, was gerade passiert – in dir und um dich herum
  • Im Moment: Nicht gestern, nicht morgen – JETZT
  • Ohne zu urteilen: Nicht "gut" oder "schlecht" – einfach wahrnehmen, was ist

Achtsamkeit beim Laufen – ein Beispiel

Stell dir zwei Läufer vor, die dieselbe Strecke laufen:

Läufer A (nicht achtsam):
Läuft mit Kopfhörern, schaut ständig auf die Uhr. Denkt: "Bin ich zu langsam? Ich müsste schneller sein. Verdammt, warum bin ich heute so schlecht? Gestern war ich doch gut... Ich muss noch einkaufen. Und die E-Mail beantworten. Und..."

Nach dem Lauf: Kann sich kaum an die Strecke erinnern. Fühlt sich gestresst.

Läufer B (achtsam):
Läuft ohne Musik. Spürt, wie die Füße den Boden berühren. Hört den Atem – ein, aus, ein, aus. Nimmt die Vögel wahr, den Wind auf der Haut, den Duft des Waldes. Ein Gedanke kommt ("Ich bin langsam") – wird bemerkt, aber nicht verfolgt. Zurück zum Atem. Einfach laufen. Einfach sein.

Nach dem Lauf: Fühlt sich erfrischt, klar, verbunden. Hat jeden Schritt erlebt.

Das ist der Unterschied! Beide haben denselben Lauf gemacht – aber nur einer hat ihn wirklich erlebt.

Warum ist Achtsamkeit für Läufer so wichtig?

Körperlich:

  • Verletzungsprävention: Du spürst früher, wenn etwas nicht stimmt – ein Ziehen in der Wade, eine Verspannung im Rücken. Du kannst reagieren, bevor es zur Verletzung wird
  • Bessere Lauftechnik: Wenn du bewusst läufst, läufst du automatisch ökonomischer – du spürst, wenn du verkrampft bist, und kannst loslassen
  • Bessere Regeneration: Achtsamkeit aktiviert das parasympathische Nervensystem (Erholungsmodus) – dein Körper regeneriert schneller
  • Optimales Tempo: Du läufst nach Körpergefühl, nicht stur nach Uhr – und das ist oft das gesündere Tempo

Mental:

  • Weniger Stress: Wenn du im Moment bist, gibt es keinen Stress – Stress entsteht durch Gedanken an Vergangenheit oder Zukunft
  • Mehr Freude: Du nimmst die kleinen Momente wahr – den Sonnenstrahl, den singenden Vogel, das Gefühl von Freiheit
  • Besserer Umgang mit Unbehagen: Bei harten Läufen: Statt gegen das Brennen anzukämpfen, beobachtest du es achtsam – es verliert seine Macht
  • Weniger Gedankenkreisen: Der innere Kritiker wird leiser – du bist nicht mehr ständig in deinem Kopf gefangen
  • Mehr Flow: Achtsamkeit ist die Eintrittskarte zum Flow – diesem Zustand, wo alles leicht und mühelos ist

Emotional:

  • Tiefere Verbindung: Zu deinem Körper, zur Natur, zu dir selbst
  • Dankbarkeit: Wenn du bewusst wahrnimmst, wie schön es ist zu laufen, entsteht natürlich Dankbarkeit
  • Akzeptanz: Du akzeptierst, was ist – statt ständig zu wollen, dass es anders sein sollte
  • Selbstmitgefühl: Du gehst freundlicher mit dir um – auch an schlechten Tagen

Achtsamkeit vs. Meditation – Was ist der Unterschied?

Oft werden die Begriffe vermischt. Hier ist die Abgrenzung:

Meditation: Eine formale Übung, um Achtsamkeit zu trainieren. Du sitzt (oder liegst), schließt die Augen, konzentrierst dich auf einen Anker (z.B. Atem). Meditation ist wie Krafttraining für die Achtsamkeit.

Achtsamkeit: Eine Haltung, die du jederzeit leben kannst – beim Laufen, Essen, Arbeiten, in jedem Moment. Achtsamkeit ist die Anwendung dessen, was du in der Meditation übst.

Analogie:
Meditation = Im Fitnessstudio trainieren
Achtsamkeit = Die Fitness im Alltag nutzen

Du kannst achtsam sein, ohne zu meditieren – aber Meditation macht dich besser in Achtsamkeit. Sie ergänzen sich perfekt!

Achtsam laufen vs. Unachtsam laufen

Hier siehst du den Unterschied konkret:

Aufmerksamkeit

❌ Unachtsam: Gedanken schweifen ständig ab – To-Do-Liste, Sorgen, Pläne. Kopfhörer volle Lautstärke, kein Kontakt zur Umgebung.
✅ Achtsam: Fokus auf Körper, Atem, Umgebung. Wenn Gedanken kommen, werden sie bemerkt und losgelassen. Sinne sind offen.

Tempo

❌ Unachtsam: Stur nach Plan oder Uhr laufen, egal wie sich der Körper anfühlt. "Ich MUSS 5:00 min/km laufen!"
✅ Achtsam: Nach Körpergefühl laufen. Spüren: Wie fühle ich mich heute? Was braucht mein Körper? Tempo anpassen.

Umgang mit Unbehagen

❌ Unachtsam: Gegen das Brennen ankämpfen. "Verdammt, es tut weh! Ich halt's nicht aus!" Verkrampfen, Zähne zusammenbeißen.
✅ Achtsam: Das Brennen wahrnehmen ohne Widerstand. "Ok, da ist ein Brennen. Ich beobachte es. Es ist da, aber es kontrolliert mich nicht." Atmen, entspannen.

Nach dem Lauf

❌ Unachtsam: "War ich schnell genug? Zu langsam? Verdammt, meine Zeit ist mies!" Sofort Analyse, Selbstkritik, Unzufriedenheit
✅ Achtsam: "Ich bin gelaufen. Ich habe meinen Körper bewegt. Danke, Körper!" Wertschätzung für den Lauf, egal wie er war.

Verbindung

❌ Unachtsam: Im Kopf gefangen, von der Umwelt abgeschnitten. Der Lauf passiert, während der Geist woanders ist. Keine Erinnerung an die Strecke.
✅ Achtsam: Verbunden mit Körper, Atem, Natur. Jeden Schritt erlebt. Nach dem Lauf: Klarheit, Ruhe, Erfüllung.

Praktische Achtsamkeitsübungen fürs Laufen

Achtsamkeit ist keine Theorie – sie ist Praxis. Hier sind konkrete Übungen:

Übung 1: Die 5-Sinne-Achtsamkeit (für Anfänger)

Wann: Während des Laufs, besonders am Anfang oder bei lockeren Läufen

Wie geht's:

  1. Sehen: Nimm 3 Dinge bewusst wahr, die du siehst (z.B. Baum, Wolke, Haus) – einfach wahrnehmen, nicht bewerten
  2. Hören: Nimm 3 Geräusche wahr (Vögel, Wind, deine Schritte) – lausche ohne zu analysieren
  3. Fühlen: Nimm 3 Körperempfindungen wahr (Füße auf dem Boden, Wind auf der Haut, Herzschlag) – spüre
  4. Riechen: Nimm 1-2 Gerüche wahr (Wald, frisch gemähtes Gras, Regen) – atme bewusst
  5. Schmecken: Nimm den Geschmack in deinem Mund wahr (vielleicht leicht salzig vom Schweiß?)

Effekt: Du bist sofort präsent! Deine Sinne öffnen sich, der Kopf wird ruhig.

Übung 2: Atem-Achtsamkeit beim Laufen

Wann: Jederzeit während des Laufs

Wie geht's:

  1. Richte deine volle Aufmerksamkeit auf deinen Atem
  2. Spüre, wie die Luft einströmt (kühl durch die Nase)
  3. Spüre, wie sich der Bauch hebt
  4. Spüre, wie die Luft ausströmt (warm)
  5. Synchronisiere Atem und Schritte: Z.B. 3 Schritte einatmen, 3 Schritte ausatmen
  6. Wenn Gedanken kommen: Bemerken, loslassen, zurück zum Atem

Effekt: Beruhigt sofort, bringt in den Flow, verbessert die Sauerstoffaufnahme

Übung 3: Körper-Scan beim Laufen

Wann: Während lockerer Läufe, alle 10-15 Minuten

Wie geht's:

  1. Wandere mental durch deinen Körper (von unten nach oben):
  2. Füße: Wie setzen sie auf? Wo spürst du Druck?
  3. Unterschenkel: Sind die Waden entspannt oder angespannt?
  4. Knie: Bewegen sie sich frei?
  5. Oberschenkel: Wo ist die Arbeit? Wo die Entspannung?
  6. Hüfte: Ist sie locker oder steif?
  7. Oberkörper: Ist der Rücken aufrecht? Schultern entspannt?
  8. Arme: Schwingen sie locker?
  9. Gesicht: Ist der Kiefer entspannt?
  10. Wenn du Verspannungen bemerkst: Atme in diese Region, entspanne bewusst

Effekt: Bessere Lauftechnik, Verletzungsprävention, tiefere Körperverbindung

Übung 4: Die "Anker-Übung" (bei Gedankenkreisen)

Wann: Wenn dein Kopf nicht zur Ruhe kommt, wenn Stress hochkommt

Wie geht's:

  1. Wähle einen "Anker" – etwas Konkretes, Körperliches:
  • Das Gefühl der Füße auf dem Boden
  • Dein Atem
  • Der Rhythmus deiner Schritte
  1. Wenn Gedanken kommen (und sie werden kommen!): Bemerke sie freundlich
  2. Sag innerlich: "Aha, da ist ein Gedanke" (ohne zu bewerten!)
  3. Kehre sanft zu deinem Anker zurück
  4. Immer wieder: Gedanken bemerken → loslassen → Anker

Effekt: Trainiert die "Achtsamkeitsmuskulatur", bringt Ruhe in den Kopf

Übung 5: Dankbarkeits-Achtsamkeit (beim Cool-Down)

Wann: Während des Auslaufens nach dem Lauf

Wie geht's:

  1. Während du locker austrappst, richte deine Aufmerksamkeit auf Dankbarkeit:
  2. "Danke, Füße, dass ihr mich getragen habt"
  3. "Danke, Lunge, dass du mich mit Sauerstoff versorgt hast"
  4. "Danke, Herz, dass du so zuverlässig geschlagen hast"
  5. "Danke, Körper, für alles, was du für mich tust"
  6. "Danke, Natur, für deine Schönheit"
  7. Spüre das Gefühl von Dankbarkeit im Körper – wo fühlst du es?

Effekt: Wandelt die Beziehung zum Laufen (von Pflicht zu Geschenk), fördert Selbstmitgefühl

Tipp: Wähle EINE Übung und praktiziere sie für 2 Wochen konsequent bei jedem Lauf. Erst wenn sie zur Gewohnheit geworden ist, nimm die nächste dazu. Achtsamkeit ist kein Sprint – es ist eine lebenslange Reise.

Die mentalen Herausforderungen der Achtsamkeit

Achtsamkeit klingt einfach – "einfach im Moment sein" – ist aber eine der schwersten mentalen Übungen. Hier sind die typischen Fallen:

Herausforderung 1: "Mein Kopf hört nicht auf zu denken!"

Das ist völlig normal! Gedanken sind nicht der Feind der Achtsamkeit. Achtsamkeit bedeutet nicht "keine Gedanken haben" – sondern "Gedanken bemerken, ohne sich in ihnen zu verlieren".
Umdeutung: Dein Geist ist wie ein Radio, das ständig läuft. Du kannst es nicht ausschalten. Aber du kannst lernen, nicht jedem Lied zuzuhören. Du lässt das Radio laufen – aber du MUSST nicht zuhören. Die Gedanken dürfen da sein – du musst ihnen nur nicht folgen.

Herausforderung 2: "Ich werde ungeduldig! Wann bin ich endlich achtsam?"

Ungeduld ist... ein Gedanke! Den du achtsam bemerken kannst. Siehst du die Ironie? Du willst achtsam werden – und bist ungeduldig. Aber Ungeduld ist ein Gefühl der Zukunft ("Wann ist es endlich so weit?"). Achtsamkeit ist JETZT.
Perspektive: Es gibt kein "Ziel" der Achtsamkeit. Es ist kein Zustand, den du erreichst und dann "hast". Achtsamkeit ist ein Prozess – jeder Moment der Präsenz zählt. Du BIST achtsam, sobald du bemerkst "Oh, ich war in Gedanken" – genau in diesem Moment.

Herausforderung 3: "Aber ich muss doch ans Tempo denken! Sonst laufe ich falsch!"

Achtsam laufen bedeutet nicht, komplett ohne Plan zu laufen. Du kannst achtsam UND zielorientiert sein. Der Unterschied:

  • Unachtsam: "Ich MUSS 5:00 min/km laufen, egal wie ich mich fühle!" (stur, verkrampft)
  • Achtsam: "Mein Ziel ist 5:00 min/km. Wie fühle ich mich gerade? Passt das Tempo zu meinem Körper heute?" (flexibel, bewusst)

Herausforderung 4: "Achtsam laufen ist langweilig! Ich brauche Musik/Podcasts!"

Das ist ehrlich – und verständlich! Aber: Warum brauchst du ständig Ablenkung? Was versuchst du zu vermeiden? Vielleicht... die Stille? Die eigenen Gedanken? Das Alleinsein mit dir selbst?
Experiment: Versuche, EINEN Lauf pro Woche ohne Kopfhörer zu laufen. Nur du, dein Atem, die Natur. Es wird sich anfangs seltsam anfühlen – aber gib ihm eine Chance. Nach ein paar Wochen wirst du merken: Das ist nicht Langeweile – das ist Ruhe. Und Ruhe ist Gold wert.

Herausforderung 5: "Ich vergesse es ständig! Ich laufe los und bin nach 2 Minuten wieder in Gedanken."

Auch das ist normal! Achtsamkeit ist wie ein Muskel – er muss trainiert werden. Zu Beginn ermüdet er schnell. Aber: Jedes Mal, wenn du bemerkst "Oh, ich war weg" und zurückkommst – trainierst du diesen Muskel.

Hilfe: Setze Erinnerungen:

  • Alle 5 Minuten ein sanfter Piepton (Timer am Handy) → Kurz innehalten: "Bin ich präsent?"
  • Bei jeder Kreuzung: Bewusst durchatmen und Körper spüren
  • Beim Überqueren einer Brücke/eines bestimmten Punkts: Moment der Achtsamkeit


Affirmation für achtsames Laufen:

"Ich bin hier. Ich bin jetzt. Ich nehme wahr, was ist – ohne zu bewerten. Jeder Schritt ist ein Moment des Lebens. Ich bin präsent."

Die 7 Säulen der Achtsamkeit (nach Jon Kabat-Zinn)

Jon Kabat-Zinn, der "Vater der modernen Achtsamkeit", beschreibt 7 grundlegende Haltungen. Sie gelten nicht nur für Meditation – sondern für jede Form der Achtsamkeit, auch beim Laufen:

1. Nicht-Urteilen (Non-Judging)

Nimm wahr, was ist – ohne es als "gut" oder "schlecht" zu bewerten.
Beim Laufen: "Ich bin heute langsam" statt "Ich bin heute VIEL ZU langsam – ich bin schlecht!"

2. Geduld (Patience)

Akzeptiere, dass Dinge ihre eigene Zeit brauchen.
Beim Laufen: "Meine Fitness baut sich auf – es braucht Zeit" statt "Warum bin ich noch nicht schneller?!"

3. Anfängergeist (Beginner's Mind)

Begegne jedem Moment, als wäre es das erste Mal.
Beim Laufen: Jeder Lauf ist neu – auch wenn du dieselbe Strecke zum 100. Mal läufst. Was ist heute anders?

4. Vertrauen (Trust)

Vertraue dir selbst und deinem Körper.
Beim Laufen: "Mein Körper weiß, was er braucht" – vertraue deinem Körpergefühl, nicht nur der Uhr

5. Nicht-Streben (Non-Striving)

Sei, ohne ständig etwas erreichen zu wollen.
Beim Laufen: Nicht jeder Lauf muss ein "Training" sein. Manchmal läufst du einfach, um zu laufen – ohne Ziel.

6. Akzeptanz (Acceptance)

Akzeptiere, was ist – ohne es ändern zu wollen.
Beim Laufen: "Heute bin ich müde – das ist ok" statt "Ich SOLLTE mich besser fühlen!"

7. Loslassen (Letting Go)

Halte nicht fest an Gedanken, Gefühlen, Erwartungen.
Beim Laufen: Schlechte Läufe loslassen. Gute Läufe auch loslassen. Jeder Lauf ist vergänglich – und das ist schön.

Diese 7 Haltungen sind keine Techniken – sie sind eine Lebensweise. Kultiviere sie beim Laufen, und sie werden sich in dein ganzes Leben ausbreiten.

Beispiel: Ein achtsamer Lauf (von Anfang bis Ende)

So könnte ein vollständig achtsamer Lauf aussehen:

Vor dem Lauf (5 Minuten)

  • Setze eine Intention: "Ich laufe heute achtsam. Ich bin präsent bei jedem Schritt."
  • 3x tief durchatmen – Körper ankommen lassen
  • Kurzer Body-Scan: Wie fühle ich mich heute? Wo spüre ich Energie? Wo Müdigkeit?
  • Keine Kopfhörer – heute läufst du mit offenen Ohren

Start (erste 10 Minuten)

  • Beginne langsam – keine Eile
  • Spüre die ersten Schritte bewusst: Wie setzt der Fuß auf? Wie fühlt sich der Boden an?
  • Richte Aufmerksamkeit auf den Atem: Ein - aus - ein - aus
  • Gedanken kommen ("Hab ich die Tür abgeschlossen?") – bemerken, loslassen, zurück zum Atem

Mittelteil (20-30 Minuten)

  • Alle 5 Minuten: Kurzer Check – "Bin ich präsent? Wo bin ich mit meiner Aufmerksamkeit?"
  • Praktiziere die 5-Sinne-Übung: Was siehst du? Was hörst du? Was fühlst du?
  • Ein Vogel singt – halte inne (innerlich), höre wirklich hin, nimm es wahr
  • Die Sonne kommt hinter einer Wolke hervor – spüre die Wärme auf deiner Haut
  • Ein leichter Wind – nimm den Duft des Waldes wahr
  • Gedanken kommen immer wieder – das ist ok. Immer wieder zurückkommen

Härtere Passage (wenn's anstrengender wird)

  • Ein Hügel – die Beine brennen
  • Statt dagegen anzukämpfen: Beobachte das Brennen achtsam
  • "Aha, da ist ein Brennen in den Oberschenkeln. Interessant. Wie fühlt es sich genau an?"
  • Atme in die Anstrengung hinein – nicht weg davon
  • Der Kopf will aufgeben ("Ich kann nicht mehr!") – bemerke den Gedanken, aber glaube ihm nicht
  • Fokus auf einen Schritt nach dem anderen. Nur dieser eine Schritt. Dann der nächste.

Cool-Down (letzte 10 Minuten)

  • Tempo reduzieren, bewusst langsamer werden
  • Dankbarkeits-Übung: "Danke, Körper. Danke, Beine. Danke, Atem."
  • Spüre, wie sich der Körper anfühlt – erschöpft? Erfüllt? Lebendig?
  • Die letzten Schritte ganz bewusst: Spüre jeden einzelnen
  • Anhalten – nicht abrupt, sondern sanft zum Stillstand kommen

Nach dem Lauf

  • Stehe einen Moment still – spüre nach
  • 3x tief durchatmen
  • Kurze Reflektion: "Wie war dieser Lauf? Was habe ich wahrgenommen? Wofür bin ich dankbar?"
  • Keine Analyse der Zeit oder Pace – einfach anerkennen: "Ich bin gelaufen. Gut gemacht."

Ergebnis: Du hast nicht nur deinen Körper trainiert – du hast auch deinen Geist trainiert. Du bist nicht nur gelaufen – du hast gelebt. Jeder Schritt war ein bewusster Moment. Das ist achtsames Laufen.

Die 10 goldenen Regeln für achtsames Laufen

  1. Lass die Kopfhörer weg (zumindest bei 1-2 Läufen pro Woche). Du kannst nicht achtsam sein, wenn du abgelenkt bist.
  2. Vergiss die Uhr (zumindest manchmal). Laufe nach Körpergefühl, nicht nach Zahlen. Achtsamkeit und Leistungsdruck passen nicht zusammen.
  3. Wähle schöne Strecken. Achtsamkeit ist leichter in der Natur. Wald, Park, See – überall, wo du dich mit der Welt verbinden kannst.
  4. Beginne jeden Lauf mit 3 bewussten Atemzügen. Das ist dein Ritual: "Jetzt beginnt achtsames Laufen."
  5. Setze Erinnerungen. Timer, Wegpunkte, was auch immer – damit du nicht für 40 Minuten in Gedanken verschwindest.
  6. Sei freundlich zu dir selbst. Wenn du bemerkst "Ich war 10 Minuten in Gedanken" – kein Problem! Jetzt bist du wieder da. Das IST Achtsamkeit.
  7. Nutze schwere Momente als Übung. Wenn's brennt, wenn's hart wird – das sind die besten Momente für Achtsamkeit. Hier lernst du am meisten.
  8. Praktiziere Dankbarkeit. Beim Cool-Down: Danke deinem Körper. Das verändert alles.
  9. Vergleiche dich nicht. Nicht mit anderen, nicht mit dir von gestern. Jeder Moment ist neu, jeder Lauf ist einzigartig.
  10. Hab keine Erwartungen. Achtsamkeit ist kein Mittel zum Zweck ("Ich mache das, um schneller zu werden"). Es ist ein Geschenk an dich selbst – einfach zu sein.

Häufige Missverständnisse über Achtsamkeit

Missverständnis 1: "Achtsam = langsam laufen"

Falsch! Du kannst auch bei Tempoläufen oder Intervallen achtsam sein. Achtsamkeit bedeutet präsent sein – egal bei welchem Tempo. Du nimmst wahr, was ist.
Richtig: Achtsames Laufen passt zu jedem Tempo. Auch bei einem Sprint kannst du achtsam sein – du spürst die Anstrengung, den Atem, die Geschwindigkeit.

Missverständnis 2: "Achtsamkeit heißt, positiv zu denken"

Falsch! Achtsamkeit ist nicht "Positives Denken". Es geht nicht darum, negative Gedanken wegzudrücken und nur positive zu haben.
Richtig: Achtsamkeit ist wertneutral. Du nimmst wahr, was da ist – ob positiv oder negativ. "Aha, da ist ein negativer Gedanke. Interessant." Kein Kampf, keine Bewertung.

Missverständnis 3: "Ich muss immer achtsam sein"

Falsch! Niemand ist 24/7 achtsam. Das ist unrealistisch und setzt dich nur unter Druck.
Richtig: Achtsamkeit ist eine Übung. Momente der Präsenz. Je mehr du übst, desto öfter bist du achtsam – aber es wird nie "immer" sein. Und das ist ok!

Missverständnis 4: "Achtsamkeit macht mich weniger leistungsfähig"

Falsch! Das Gegenteil ist der Fall! Studien zeigen: Achtsame Sportler sind fokussierter, mental stärker, erholen sich besser.
Richtig: Achtsamkeit STEIGERT die Leistung – weil du effizienter trainierst, Verletzungen vorbeugst, besser regenerierst und mental belastbarer bist.

Missverständnis 5: "Achtsamkeit ist esoterischer Kram"

Falsch! Achtsamkeit hat buddhistische Wurzeln, aber ist heute wissenschaftlich fundiert. Tausende Studien belegen die Effekte.
Richtig: Achtsamkeit ist mentales Training – wie Krafttraining für deinen Geist. Nichts Esoterisches daran – pure Neurowissenschaft.

Siehe auch im Läufer-ABC:

  • Meditation – Das "Fitnessstudio" für Achtsamkeit
  • Flow – Der Zustand, den Achtsamkeit ermöglicht
  • Visualisierung – Eine andere Form der Präsenz
  • Atemtechnik – Atem als Anker der Achtsamkeit
  • Mentales Training – Achtsamkeit ist Teil davon
  • Dankbarkeit – Erwächst aus Achtsamkeit
  • Körperwahrnehmung – Achtsam den Körper spüren
  • Lauftagebuch – Achtsame Reflektion
  • Natur – Der perfekte Ort für Achtsamkeit
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