80/20-Regel

Auch bekannt als: 80/20-Prinzip, Polarisiertes Training, 80/20-Trainingsmethode, Low-Intensity-High-Volume-Training

Kurz erklärt: Die 80/20-Regel ist die wichtigste Trainingsregel für Läufer – egal ob Anfänger oder Marathon-Profi. Sie besagt: 80% deines Trainings sollten locker und entspannt sein (im Grundlagenbereich), nur 20% intensiv (Intervalle, Tempoläufe). Das klingt für viele viel zu einfach – ist aber genau das Geheimnis der erfolgreichsten Läufer weltweit. Das Paradox: Um schneller zu werden, musst du langsamer trainieren! Die meisten Hobbyläufer machen es umgekehrt und laufen ständig im „mittleren" Bereich – zu schnell für echte Regeneration, zu langsam für effektives Tempotraining. Das ist der größte Fehler im Lauftraining!

Was bedeutet die 80/20-Regel konkret?

Stell dir vor, du läufst 5x pro Woche:

  • 4 Läufe (80%) sind locker, entspannt, im Plaudertempo → Grundlagenausdauer (GA1)
  • 1 Lauf (20%) ist intensiv → Intervalle, Tempolauf, Fahrtspiel

Oder anders ausgedrückt: Wenn du in einer Woche 5 Stunden läufst, sind 4 Stunden locker und nur 1 Stunde schnell.

Das fühlt sich für die meisten völlig falsch an! Die innere Stimme sagt: „Das ist viel zu langsam! Ich könnte doch schneller!" Genau diese Stimme führt die meisten Hobbyläufer in die Falle.

Woher kommt die 80/20-Regel?

Die 80/20-Regel ist keine Erfindung von Fitness-Gurus – sie basiert auf jahrzehntelanger Forschung und Beobachtung der weltbesten Läufer.

Die wissenschaftliche Grundlage:

  • Der norwegische Sportwissenschaftler Stephen Seiler untersuchte das Training von Weltklasse-Ausdauerathleten
  • Ergebnis: Fast alle Top-Athleten trainieren nach dem gleichen Muster – 80% locker, 20% intensiv
  • Dies gilt für Läufer, Radfahrer, Skilangläufer – alle Ausdauersportarten
  • Die erfolgreichsten kenianischen und äthiopischen Läufer trainieren nach diesem Prinzip
  • Auch die norwegischen Läufer (aktuell die dominierenden Marathon-Läufer) schwören darauf

Die Beobachtung im Breitensport: Hobbyläufer machen es meist umgekehrt! Sie laufen etwa 50% locker, 50% mittelmäßig schnell – und fast nie richtig intensiv. Das ist die schlechteste Kombination.

Warum funktioniert die 80/20-Regel so gut?

Die Antwort liegt in der Biologie deines Körpers. Es gibt zwei grundsätzlich verschiedene Trainingsbereiche:

Der aerobe Bereich (die 80%):

  • Dein Körper hat genug Sauerstoff, verbrennt hauptsächlich Fett
  • Hier passieren die wichtigsten langfristigen Anpassungen: mehr Mitochondrien, bessere Kapillarisierung, stärkeres Herz
  • Du kannst lange laufen, regenerierst schnell
  • Das Verletzungsrisiko ist minimal

Der intensive Bereich (die 20%):

  • Dein Körper arbeitet an der Grenze, produziert Laktat
  • Hier trainierst du Geschwindigkeit, anaerobe Schwelle, VO2max
  • Das ist sehr belastend – du brauchst danach viel Regeneration
  • Zu viel davon führt zu Übertraining und Verletzungen

Das Problem der „Middle Zone" (der größte Fehler!):

Die meisten Hobbyläufer laufen ständig im mittleren Bereich – dem sogenannten „Niemandsland":

  • Zu schnell für echte Grundlagenausdauer → du regenerierst nicht richtig
  • Zu langsam für effektives Tempotraining → du wirst nicht schneller
  • Du sammelst ständig Ermüdung an, ohne die Vorteile von intensivem Training zu bekommen
  • Resultat: Stagnation, Übertraining, Verletzungen

Die 80/20-Regel zwingt dich, konsequent zu sein: Entweder wirklich locker ODER wirklich intensiv. Kein Mittelding!

Die Wissenschaft dahinter: Warum 80/20 optimal ist

Stephen Seilers Forschung zeigt: Es geht nicht darum, härter zu trainieren – sondern smarter.

Die wichtigsten Erkenntnisse:

1. Aerobe Anpassungen brauchen Zeit und Volume
Die wirklich wichtigen Anpassungen (mehr Mitochondrien, bessere Kapillarisierung) passieren im lockeren Bereich – und brauchen viele Kilometer. Diese Anpassungen sind das Fundament für alles andere.

2. Intensive Einheiten erfordern vollständige Regeneration
Wenn du zu oft intensiv trainierst, regenerierst du nie vollständig. Das Ergebnis: Du trainierst immer „halb platt" und kannst nie wirklich Gas geben. Lieber 1x pro Woche richtig intensiv (wenn du ausgeruht bist) als 3x halbherzig.

3. Der Körper kann nicht alles gleichzeitig optimieren
Training im mittleren Bereich ist ein Kompromiss – du trainierst nichts richtig. Die 80/20-Regel ist „polarisiert" – zwei klare Extreme, die sich ergänzen.

4. Verletzungsprävention
80% lockere Läufe bedeuten: dein Körper hat Zeit, sich anzupassen. Sehnen, Bänder, Knochen werden stärker – ohne ständig überbelastet zu werden.

Studien zeigen: Läufer, die nach 80/20 trainieren, verbessern sich schneller und haben weniger Verletzungen als Läufer, die ständig im mittleren Bereich laufen – selbst wenn sie gleich viele Kilometer sammeln!

Beispiel: So sieht eine 80/20-Trainingswoche aus

Laufanfänger (3x pro Woche, ca. 20-30 Min pro Lauf):

  • Montag: 40 Min locker (GA1) – Plaudertempo
  • Mittwoch: 40 Min locker (GA1) – Plaudertempo
  • Freitag: 40 Min locker (GA1) – Plaudertempo

Für Anfänger: In den ersten 6-12 Monaten sind 100% lockere Läufe völlig richtig! Die 20% Intensität kommen später.

Fortgeschrittene (4x pro Woche, ca. 45-60 Min pro Lauf):

  • Montag: 45 Min locker (GA1)
  • Mittwoch: INTENSIV: 10 Min Warm-Up + 6x 800m Intervalle + 10 Min Cool-Down (ca. 50 Min gesamt)
  • Freitag: 45 Min locker (GA1)
  • Sonntag: 60-90 Min langer, lockerer Lauf (GA1)

Verhältnis: 3 lockere Läufe (ca. 3:15h) + 1 intensiver Lauf (ca. 50 Min) = ca. 80/20

Ambitionierte (5-6x pro Woche, Marathon-Vorbereitung):

  • Montag: 40 Min locker (GA1)
  • Dienstag: 40 Min ganz locker (GA1) – kurzer Regenerationslauf
  • Mittwoch: INTENSIV: Tempolauf oder Intervalle (60-90 Min inkl. Warm-Up/Cool-Down)
  • Donnerstag: 45 Min ganz locker (GA1) – Regenerationslauf
  • Freitag: Pause
  • Samstag: 40 Min locker (GA1)
  • Sonntag: Langer Lauf 2-2,5h (GA1)

Verhältnis: 5 lockere Läufe + 1 intensive Einheit = ca. 80/20

Die mentale Herausforderung der 80/20-Regel

Die 80/20-Regel klingt einfach – ist aber mental extrem herausfordernd! Warum?

Die inneren Kämpfe:

„Das ist viel zu langsam! Ich kann doch schneller!"
Dein Ego will Gas geben. Es will sich beweisen. Jeden einzelnen Lauf. Das ist normal – aber kontraproduktiv. Die Kunst ist: 80% der Zeit das Ego zügeln. An 4 von 5 Tagen demütig und diszipliniert sein.

„Die anderen sind schneller als ich!"
Du läufst im Park. Jemand überholt dich. Das Ego meldet sich: „Dem musst du hinterher!" NEIN! Die andere Person macht gerade ihr 20%-Training – du machst deine 80%. Ihr trainiert verschiedene Dinge. In ein paar Tagen machst DU deine 20% – und überholst dann andere. So funktioniert's.

„Ich habe heute so viel Energie – ich könnte schneller!"
Das ist die tückischste Falle! Du fühlst dich großartig, die Beine sind frisch, die Sonne scheint. Jetzt schneller laufen? NEIN! Genau diese Energie brauchst du für deine intensive Einheit in 2 Tagen. Spare sie auf!

„Wenn ich nicht hart trainiere, passiert doch nichts!"
Das Ego glaubt: Nur wenn es wehtut, wird's besser. Aber: Die wichtigsten Anpassungen (Mitochondrien, Kapillaren, Herzvergrößerung) passieren gerade in den lockeren Läufen. Du baust dein Fundament – unsichtbar, aber entscheidend.

Mentale Techniken für die 80/20-Regel:

1. Umdeutung: „Langsam ist professionell"
Wenn dein Ego sagt „zu langsam = peinlich", antworte innerlich: „Langsam = so trainieren wie die Profis. Ich bin smart, nicht schwach." Die weltbesten Läufer laufen 80% ihrer Kilometer langsam. Du machst es genauso.

2. Die „Energie-Bank"
Stell dir vor, jeder lockere Lauf zahlt Energie auf dein Konto ein. Intensive Läufe heben Energie ab. Wenn du ständig abhebst (= immer schnell läufst), bist du pleite (= übertrainiert). Die 80/20-Regel sorgt für ein gesundes Energie-Konto.

3. Das „Zwei-Ich"-Modell
Du hast zwei Läufer-Identitäten:
- Das Fundament-Ich (80%): geduldig, demütig, langfristig denkend
- Das Wettkampf-Ich (20%): ehrgeizig, kämpferisch, auf Leistung getrimmt

Beide sind wichtig! Aber sie haben ihren eigenen Platz. Verwechsle sie nicht.

4. Der Zukunfts-Blick
Wenn das Ego dich zu schnellerem Laufen drängt, frage dich: „Dient dieser schnellere Lauf meinem Ich in 3 Monaten?" Meist nicht. Das geduldige, disziplinierte Grundlagentraining HEUTE baut den starken Läufer von MORGEN.

Die Paradoxie akzeptieren:
Die 80/20-Regel lehrt die wichtigste Lektion des Laufens: Langsamer trainieren, um schneller zu werden. Das zu verstehen ist einfach. Es zu leben ist schwer. Es ist ein täglicher Kampf mit dem Ego – und genau das macht dich nicht nur zu einem besseren Läufer, sondern zu einem geduldigen, disziplinierten Menschen.

Wie erkenne ich, ob ich im 80%- oder 20%-Bereich bin?

Die 80% (lockerer Bereich = Grundlagenausdauer):

  • Sprechtest: Du kannst dich problemlos in ganzen Sätzen unterhalten
  • Pulsuhr: 60-75% deiner maximalen Herzfrequenz
  • Gefühl: Es fühlt sich „zu leicht" an, fast langweilig. Perfekt!
  • Atmung: Ruhig, rhythmisch, größtenteils durch die Nase möglich
  • Am nächsten Tag: Du bist erholt und könntest problemlos wieder laufen

Die 20% (intensiver Bereich):

  • Intervalle: Z.B. 6x 800m oder 5x 1km in hohem Tempo mit Pausen dazwischen
  • Tempoläufe: 20-40 Min an deiner anaeroben Schwelle (hart, aber kontrolliert)
  • Fahrtspiel: Wechsel zwischen lockeren und schnellen Phasen
  • Pulsuhr: 80-95% deiner maximalen Herzfrequenz
  • Gefühl: Es ist anstrengend, du musst dich konzentrieren, Reden ist kaum möglich
  • Am nächsten Tag: Du bist müde und brauchst Regeneration

Die gefährliche „Middle Zone" (zu vermeiden!):

  • Zu schnell für Grundlagenausdauer, zu langsam für echtes Tempotraining
  • Fühlt sich „mittelmäßig anstrengend" an
  • Du könntest noch reden, aber nicht mehr entspannt
  • Das ist der Bereich, in dem die meisten Hobbyläufer ständig trainieren – und nicht vorankommen!

So setzt du die 80/20-Regel erfolgreich um

  1. Sei ehrlich mit dir selbst
    Zeichne eine Woche lang ALLE Läufe mit Pulsuhr auf. Analysiere: Wie viel Prozent waren wirklich locker? Die meisten sind überrascht, wie wenig es tatsächlich ist.
  2. Plane deine Woche im Voraus
    Lege fest: Welcher Lauf ist diese Woche der intensive? Alle anderen sind automatisch locker. So verhinderst du spontane „ich fühl mich gut, also laufe ich schnell"-Aktionen.
  3. Lauf mit einer Pulsuhr – zumindest am Anfang
    Objektive Daten helfen, das Ego auszutricksen. Wenn die Uhr sagt „zu schnell", dann ist es zu schnell – egal wie es sich anfühlt.
  4. Finde ein „Schleich-Tempo"
    Suche bewusst nach einem Tempo, das sich fast peinlich langsam anfühlt. Das ist wahrscheinlich dein optimales GA1-Tempo! Übe, dieses Tempo zu akzeptieren.
  5. Lauf mit langsameren Partnern
    Das zwingt dich, langsam zu bleiben. Und: Es macht mehr Spaß, sich zu unterhalten!
  6. Wenn intensiv, dann richtig!
    An deinem intensiven Tag: Volle Pulle! Keine halben Sachen. Nur so lohnt sich die Belastung. Vorher gut aufgewärmt, danach gut ausgelaufen.
  7. Kontrolliere dich am nächsten Tag
    Nach einem lockeren Lauf solltest du am nächsten Tag fit sein. Nach einem intensiven Lauf darfst du müde sein. Wenn du nach „lockeren" Läufen ständig erschöpft bist, warst du zu schnell!
  8. Gib dir 4-6 Wochen
    Die ersten Wochen fühlen sich seltsam an. „So langsam bringt das doch nichts!" Vertrau dem Prozess. Nach 4-6 Wochen wirst du merken: Bei gleichem Puls läufst du plötzlich schneller. Das ist der Beweis, dass es funktioniert!
  9. Anfänger: Fokus auf die 80% (oder sogar 100%)
    In den ersten 6-12 Monaten ist es völlig okay, 100% lockere Läufe zu machen. Bau erst dein Fundament auf. Die 20% kommen später.
  10. Hab Mut zur Langsamkeit
    Das ist die größte Herausforderung. Es braucht Mut, langsam zu laufen, wenn andere vorbeiziehen. Aber dieser Mut macht dich langfristig zum besseren Läufer.

Die 6 größten Fehler bei der 80/20-Regel

❌ Fehler 1: „Ich laufe nach Gefühl – und das fühlt sich gut an!"
Das Problem: Dein „Gefühl" ist meist zu schnell. Die meisten Läufer unterschätzen, wie langsam „locker" wirklich ist. Lösung: Pulsuhr nutzen oder Sprechtest machen!

❌ Fehler 2: Jeden Lauf zum Tempo-Test machen
„Mal schauen, wie schnell ich heute bin..." Das ist kein Training, das ist Wettkampf-Simulation. Und die sollte nur in den 20% stattfinden! Die 80% sind bewusst nicht-wettkampfmäßig.

❌ Fehler 3: Mit schnelleren Läufern mithalten wollen
Laufgruppen sind toll – aber nur, wenn alle im gleichen Tempo laufen. Wenn du ständig am Limit bist, um mitzuhalten, machst du kein GA1-Training mehr. Entweder die Gruppe bremst sich für dich – oder du läufst solo.

❌ Fehler 4: Die intensiven 20% zu halbherzig angehen
Wenn schon intensiv, dann richtig! Viele Läufer scheuen sich, bei Intervallen wirklich Gas zu geben. Dann lieber den intensiven Tag ganz weglassen und länger lockere Läufe machen.

❌ Fehler 5: Zu früh zu viel Intensität
Anfänger wollen oft schnell Fortschritte sehen und starten sofort mit Intervallen. Fehler! Erst muss das Fundament stehen – mindestens 6 Monate lockeres Grundlagentraining, bevor du überhaupt an intensive Einheiten denkst.

❌ Fehler 6: Die „Middle Zone" nicht erkennen
Der gefährlichste Fehler: Du denkst, du läufst locker – bist aber ständig im mittleren Bereich. Das merkst du daran: Du regenerierst nie vollständig, bist ständig „ein bisschen müde", und kommst nicht voran. Lösung: Radikale Ehrlichkeit mit dir selbst!

Fortgeschrittene Anwendung: Neverending-Approach

Die 80/20-Regel lässt sich auch auf längere Trainingsphasen anwenden – besonders interessant für das „Neverending"-Konzept:

Das Prinzip:

  • Nicht jede Woche intensiv trainieren!
  • 3 Wochen lockeres Grundlagentraining (100% GA1)
  • 1 Woche mit intensiven Einheiten (z.B. 2x Intervalle)
  • Dann wieder 3 Wochen locker, usw.

Warum das funktioniert:

  • Du sammelst 3 Wochen lang viel lockeres Volumen → Fundament wird breiter
  • In der 4. Woche kannst du wirklich Gas geben (weil du ausgeruht bist)
  • Dann wieder 3 Wochen Grundlagen, wobei dein Körper die Intensität verarbeitet
  • Langfristig baust du so kontinuierlich auf – ohne Übertraining-Risiko

Das ist besonders für Läufer geeignet, die „einfach fit bleiben" wollen ohne konkretes Wettkampfziel. Die 80/20-Regel wird hier zur 90/10- oder sogar 95/5-Regel über den Monat betrachtet!

Siehe auch im Läufer-ABC:

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